WUTANFÄLLE LIEBEVOLL BEGLEITEN UND KINDER STÄRKEN
Es gibt wohl kaum etwas, was ich mir als Mama so sehr wünsche, wie ein glückliches Kind. Dieser Wunsch hat uns lange Zeit das Leben schwer gemacht: wenn mein Kind traurig, wütend, frustriert oder enttäuscht war, konnte ich das kaum ertragen. Ich habe versucht, es abzulenken, einen Ersatz zu finden, mein Nein zurück zu nehmen und so viel mehr zu tun, bloß damit es wieder zufrieden ist. Dadurch hat mein Kind ein paar Dinge gelernt, die unser beider Leben ziemlich anstrengend gemacht haben:
"Wenn ich mich genug aufrege, schreie und wütend werde, dann bekomme ich, was ich will oder zumindest einen tollen Ersatz. Außerdem bin ich offensichtlich nicht in der Lage, schlimme Gefühle auszuhalten. Ich schaffe es nicht, damit umzugehen. Sonst würde Mama ja nicht alles tun, um diese Gefühle abzustellen. Darüber hinaus muss mein Frust wirklich berechtigt sein, wenn Mama alles tut, um ihn zu verhindern. Ich habe scheinbar jedes Recht der Welt, mich an meine Wünsche zu klammern. Das Universum oder wer auch immer mich gerade frustriert, ist wirklich böse und gemein und ich bin ein echtes Opfer."
Eine solche Haltung ist höchst problematisch. Sie führt beim Kind dazu, dass es Wutanfälle hat und aggressiv oder depressiv wird, sobald etwas nicht nach seinem Kopf geht. Es entwickelt keine Frustrationstolleranz. Bei den Eltern führt diese Haltung dazu, dass sie nicht mehr wissen, wie sie mit ihrem Kind umgehen sollen. Sie haben Angst vor jeder Situation, in der ihr Kind frustriert werden könnte. Sie versuchen, alles zu umgehen, was das Kind wütend machen könnte. Es kann soweit kommen, dass die Wünsche des Kindes die ganze Familie dominieren. Außerdem gelingt es Eltern oft nicht mehr, liebevoll zu bleiben, wenn sie gefühlt immer mehr von ihrem Kind tyrannisiert werden. Sie übergehen ständig ihre eigenen Grenzen. Sie schimpfen, demütigen oder bestrafen ihr Kind und fühlen sich anschließend umso schlechter. Sie haben das Gefühl, als Mama oder Papa völlig zu versagen. Und auch das Kind bekommt das Gefühl, falsch zu sein, so wie es ist. Es ist ein echter Teufelskreis bei dem alle Beteiligten verlieren, obwohl doch jeder sein Bestes versucht.
Es gibt ein einfaches Rezept aus diesem Kreislauf auszusteigen und zwar Klarheit und Ermutigung.
STEHE ZU DEINEM NEIN
Was genau meine ich damit?
Wann immer dein Kind dich um etwas bittet, überleg dir bevor du antwortest genau:
- Ist es dir möglich (und zwar ohne dich und deine Bedürfnisse völlig aufzugeben), auf die Frage mit Ja zu antworten? Oder ist deine ehrlich Antwort ein Nein? Genauso wenn dein Kind etwas tut. Frag dich: ist das ok so für dich oder nicht? Ja oder Nein?
Wenn du Ja sagen kannst, dann tu es auch. Sage Ja sooft es geht. Frustriere dein Kind niemals absichtlich. Es gibt mehr als genug Situationen im Leben deines Kindes, in denen es sich anpassen muss. Es ist wirklich absolut unnötig - um nicht zu sagen gemein - künstlich Frustration zu erschaffen. Eine Entscheidungshilfe hierbei kann sein, was du einer Freundin antworten würdest, wenn sie dich um dasselbe bitten oder das selbe tun würde.
Wenn deine ehrliche Antwort ein Nein ist, dann mache dir klar, dass du dich definitiv für Nein entscheidest. Nichts, was dein Kind sagt oder tut, wird dich von einem Ja überzeugen. Stelle dir, bevor du etwas sagst kurz die schlimmste mögliche Reaktion deines Kindes auf dein Nein vor. Also beispielsweise, dass es einen Wutanfall kriegen könnte und wappne dich innerlich dafür. Sei in dir selbst vollkommen klar und eindeutig. Lass keinen Platz für Unsicherheiten keinen Verhandlungsspielraum. Du hast es dir gründlich überlegt und bist zu dem Schluss gekommen, dass es dir gerade absolut nicht möglich ist, Ja zu sagen, wenn du dich selbst nicht völlig übergehen willst. Stehe zu deinem Nein so eindeutig, als wenn dein Kind auf eine vielbefahrene Straße rennen würde. Nichts auf der Welt könnte dich dazu bringen, das zuzulassen. Und nichts auf der Welt kann dich dazu bringen, dein Nein in ein Ja zu verwandeln.
POSITIV BLEIBEN
Du bist also für dich zu dem Schluss gekommen, dass du die Bitte deines Kindes nicht erfüllen willst. Der nächste Schritt ist, dies deinem Kind mitzuteilen. Versuche dein Nein dem Kind gegenüber positiv zu formulieren. Damit meine ich, versuche mit Ja statt mit Nein zu antworten, wann immer es geht. Wenn dein Kind z.B. sein kleines Geschwisterchen haut, sag nicht: Nein, hör auf zu hauen. Sondern: Ja, du willst hauen. Hau auf das Kissen hier. (Gleichzeitig bist du in dir aber vollkommen klar, dass du niemals zulassen würdest, dass das Geschwisterchen gehauen wird. Du passt auf wie ein Luchs, dass das nicht passiert und greifst sofort ein, falls die Gefahr dazu besteht). Oder wenn dein Kind sein Spielzeug zerstört, sag: Ja, du willst etwas kaputt machen. Schauen wir doch mal, wie kaputt du diese alte Zeitung machen kannst.
Der Vorteil dieser Strategie ist zum einen, dass beim Kind viel weniger Widerstand aufkommt. Zum anderen bekommt dein Kind grundsätzlich das Gefühl, gut und richtig zu sein in dem was es tut und will. Es entwickelt ein hohes Selbstwertgefühl und Vertrauen, dass es von seinen Eltern geliebt und angenommen wird und zwar bedingungslos. Es fühlt sich nicht zurückgewiesen oder beschämt sondern kann seine Würde wahren. Es lernt aber auch, was in deiner Familie und in der Gesellschaft üblich ist. Es lernt es auf eine liebevolle, freundliche Art, indem es von dir klar geführt wird:
Ja ich kann auf ein Kissen boxen, aber meine Mama lässt niemals zu, dass ich meine Schwester boxe. Außerdem boxt auch sonst niemand in unserer Familie andere Menschen. Oder eben: Ja ich kann alte Zeitungen kaputt machen, aber nicht mein Spielzeug.
Kinder wollen kooperieren, sie wollen dazu gehören, sie wollen sein wie die Großen - außer sie haben einen guten Grund, es nicht zu tun. Geben wir ihnen keinen solchen Grund.
Wichtig ist es, dabei freundlich, liebevoll und zu einhundert Prozent klar zu sein und zu deiner Entscheidung zu stehen. Wenn dein Kind sich nicht auf deinen Vorschlag einlässt, bleibst du klar bei deiner ursprünglichen Entscheidung. Davon lässt du dich auf keinen Fall abhalten. Du sagst also nicht nach fünf Minuten streiten, weinen und schimpfen: Dann mach doch was du willst und zerstör dein Spielzeug. Du wirst schon sehen, was du davon hast. Ein Neues kriegst du jedenfalls nicht. Oder du sagst auch nicht: Mein Schatz, ich wusste ja gar nicht, wie wichtig es dir war, dein Spielzeug zu zerstören. Stimmt, so teuer war es ja eigentlich gar nicht. Ok, dann mach es halt kaputt.
Stattdessen bleibst du dabei, dass das Spielzeug nicht zerstört werden darf und schützt es zur Not auch indem du es an einen unerreichbaren Ort legst. Ansonsten lernt dein Kind genau das, was ich ganz am Anfang beschrieben habe.
Du kannst das ohne schlechtes Gewissen tun, da du nicht einfach so Nein sagst, sondern nur, wenn es wirklich, wirklich nötig ist. Und in einem solchen Fall ist es dem Kind gegenüber sehr viel fairer, klar zu sein, als es in der ständigen Hoffnung zu lassen, dass du deine Meinung ändern könntest, wenn es sich nur genug anstrengt oder wütend genug wird. Du hast dir vorher überlegt, dass ein Ja nicht möglich ist, also behalte die Verantwortung für dein Wohlergehen bei dir und gib sie nicht dem Kind. Genau das machst du nämlich, wenn du bei einem eigentlich umverhandelbaren Nein anfängst zu verhandeln: du gibst deinem Kind die Macht, deine Bedürfnisse zu missachten und gibst ihm anschließend vielleicht sogar noch die Schuld dafür. Das ist für ein Kind viel schädlicher als hin und wieder einmal ein wohlüberlegtes Nein von seinen Eltern zu bekommen. Dein Kind weiß aus Erfahrung, dass du Ja sagst, wann immer es geht. Es hat gelernt:
Meine Eltern meinen es gut mit mir, auf sie kann ich mich verlassen. Ich bin ihnen wichtig und meine Wünsche haben ihren Platz in unserer Familie. Außerdem ist es bei uns erlaubt, dass jeder gut für sich selber sorgt. Ich kann getrost meine Wünsche und Bitten äußern, ohne dass ich meine Eltern damit in Nöte bringe. Es ist ok, dass ich Wüsche habe, manchmal werden sie erfüllt und manchmal nicht.
Nachdem du deinem Kind ein glasklares, freundliches Nein als Antwort gegeben hast, wird es (v.a. wenn du viele Jahre unklar warst) entsprechend wütend oder traurig reagieren. Es hat ja von dir gelernt: wenn ich wütend und traurig genug werde, bekomme ich, was ich will. Es empfiehlt sich, dem Kind in einer ruhigen Minute in etwa Folgendes zusagen:
"Mein Schatz, ich habe bemerkt, dass ich in der Vergangenheit ziemlich unklar mit dir war. Ich habe Nein zu dir gesagt und wenn du wütend genug geworden bist, habe ich doch nachgeben oder dir etwas anderes stattdessen gegeben oder dich abgelenkt. Das möchte ich in Zukunft anders machen. Ich werde sehr gründlich nachdenken, ob ich dir mit Ja oder Nein antworte. Und wann immer ich kann, werde ich Ja sagen. Wenn ich aber Nein sage, wird mich nichts, was du tust, dazu bringen, davon abzuweichen. Ich weiß jetzt, dass du das aushalten kannst. Ich möchte nur, dass du das weißt. Hast du noch Fragen dazu?"
Aber zurück zu der konkreten Situation: Du hast Nein gesagt und dein Kind schreit, tobt und weint. Dann gehe zuerst einmal in dich. Sag gar nichts (denn der erste Impuls ist oft wenig hilfreich). Stell dir genau vor, was du am liebsten sagen oder tun würdest. Dabei brauchst du kein schlechtes Gewissen zu haben, du tust es ja nicht wirklich. Vielleicht möchtest du am liebsten dein Kind anschreien, aus dem Zimmer schleifen, es schütteln, bestrafen, demütigen, schlagen oder um des lieben Friedens willen doch wieder nachgeben? Mach es dir einfach bewusst. Schaue es dir an wie einen Film und überleg dir dann, ob das wirklich deinen Werten entspricht. Schau deinem Kind in die Augen, wenn du all diese Dinge tust. Nimm wahr, wie es Angst hat, weint, verletzt ist. Ist das wirklich die Reaktion, die deinem inneren Wesen, deiner Liebe zu deinem Kind entspringt? Oder sind das nur alte Muster, die du irgendwo übernommen hast? Würde ein solches Verhalten irgendetwas an der Situation besser machen? Mach dir klar: du bist nicht deine Gedanken. Gedanken über dein Kind kommen und gehen einfach. Sie machen dich nicht zu einer schlechten Mutter oder einem schlechten Vater. Die Probleme entstehen erst, wenn du deinen Gedanken glaubst und danach handelst.
Stell dir vor, wer du ohne deine Gedanken über die Situation wärst. Wer wärst du, wenn du nicht glauben könntest, dass dein Kind sich anders benehmen sollte? Dass die ganze Situation anders sein sollte? Dass du es leichter haben solltest? Dass dein Kind nicht leiden sollte? Du wärst vollkommen im Frieden. Du würdest in dir selbst ruhen. Du wärst die reine Liebe. Du wärst ganz im Moment, im Jetzt.
Ich empfehle dir, dir all diese grundlegenden Gedanken ("Mein Kind sollte mir gehorchen", "Mein Kind sollte nicht so wütend werden." "Erziehung sollte nicht so anstrengend sein.", "Mein Kind hat mich voll im Griff" um nur ein paar zu nennen) zu einem späteren Zeitpunkt (z.B. bei einer Work nach Byron Katie) in Ruhe anzuschauen und sie dadurch hinter dir zu lassen (ein Beispiel findest du hier).
Frage dich, was dein Kind dir gerade spiegelt. Kinder sind nämlich immer unsere Spiegelbilder. Wenn du z.B. denkst „Mein Kind sollte sich nicht so aufführen.“, zeigt es dir damit vielleicht, dass du selbst dich nicht so aufführen solltest. Sei dankbar, dass dir dein Kind eine Gelegenheit schenkt, zu wachsen.
OPTIMALE BEDINGUNGEN SCHAFFEN
Wenn du das für dich geklärt hast, dann wende dich deinem Kind zu und schenke ihm deine volle Aufmerksamkeit. Sei einfach da. Präsent in der Gegenwart. Voller Liebe und Zuversicht. Zeige Verständnis: "Ja, das versteh ich." Wenn dein Kind mag, kannst du auch nüchtern und ohne zu dramatisieren schildern, was passiert ist. "Ah, du willst nicht das Haus verlassen und wir gehen jetzt spazieren." Oder du bittest es, dir mehr darüber zu erzählen: "Erzähl mir mehr: was wolltest du zu Hause tun?" Hör dir alles an. Sei da. Sei ein Fels für dein Kind. Zerfließe nicht vor Mitleid. Dramatisiere nicht. Lenke es nicht ab. Biete keine Ersatzbefriedigung. Werde nicht wütend oder ungeduldig. Sei zuversichtlich, dass dein Kind die Situation und die Enttäuschung meistern kann. Dränge es aber nicht dazu. Gib ihm alle Zeit der Welt sich auszudrücken. Das kann am Anfang länger dauern, wird aber immer kürzer wenn es gelernt hat:
Bei meinen Eltern bin ich mit meinen Gefühlen sicher. Ich kann es schaffen, eine frustrierende Situation auszuhalten. Das ist nicht das Ende der Welt.
Wenn einem Kind so Aufmerksamkeit geschenkt wird, entwickelt es eine erstaunliche Fähigkeit, nach vorne zu sehen. Nachdem es sich ganz ausgedrückt hat, wird es in der Lage sein, die Situation anzunehmen.
Jetzt kannst du auf dein Kind eingehen und überlegen, wie es sich die unverhandelbare Situation so angenehm wie möglich machen kann. Du kannst es z.B. auffordern: „Wir gehen jetzt dann los. Überleg dir, wie unser Spaziergang so schön wie möglich für dich wird. Soll ich den Bollerwagen gemütlich herrichten mit Decken und Kissen und einem Picknickkorb für dich? Oder fällt dir etwas anderes ein, wie du beim Spaziergang Spaß haben kannst?“ Sei kreativ und nimm die Vorschläge deines Kindes an, wenn es irgendwie geht. Nimm Rücksicht auf dein Kind und schaffe optimale Bedingungen. Auch das ist ein Teil von elterlicher Führung.
Eine solche Klarheit gepaart mit ermutigender Aufmerksamkeit macht nicht nur das Zusammenleben als Familie um vieles einfacher, sondern es vermittelt eine der wichtigsten Fähigkeiten überhaupt:
Resilienz, also die Fähigkeit, schwierige Lebenssituationen gesund zu überstehen.
Das Kind lernt:
Es ist ok, nicht immer alles zu kriegen, was ich will.
Denn so ist das Leben. Niemand bekommt immer alles, was er will. Das ist ein völlig unrealistischer Wunsch und nicht tragfähig für ein echtes Leben. Wenn dein Kind erwachsen ist, kommt auch niemand und gibt ihm den Job zurück, den es verloren hat oder macht sein krankes Kind wiedergesund oder seinen toten Papa lebendig. Das Leben hält schrecklich frustrierende Situationen für Jeden von uns bereit. Auch für dein Kind und du kannst nichts auf der Welt dagegen tun. Aber jetzt im Moment, wo dein Kind noch klein ist, kannst du doch etwas Entscheidendes tun: du kannst ihm beibringen, damit umzugehen, dass im Leben Dinge passieren, die es nicht will.
Für mich ist die entscheidende Fähigkeit, um dauerhaft glücklich zu sein, die Fähigkeit ein Nein zu unseren Wünschen, Vorstellungen, Hoffnungen und Träumen annehmen zu können. Andernfalls zerbrechen wir früher oder später. Denn das Leben wird uns allen irgendwann ein Nein geben. Einhundert Prozent. Die Frage ist nur: lehnen wir uns dann dagegen auf wie ein Dreijähriger der einen Wutanfall hat? Werden wir verzweifelt, verbittert und betrachten uns selbst als Opfer? Oder haben wir in einem lebenslangen Training gelernt, ein Nein anzunehmen, unsere Gefühle zu durchleben und auszuhalten und schließlich nach vorne zu blicken und aus der Situation das Beste zu machen?
Ich wünsche mir Letzteres für mein Kind.
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Monika ist Familienberaterin bei familylab und Coach bei GedankenLichtung (www.GedankenLichtung.de). Bei ihr und ihren Kolleginnen findest du Unterstützung, wenn du dich nach mehr Leichtigkeit und Klarheit in deinem (Familien-)Leben sehnst. Wenn du dir persönliche Begleitung wünscht, Mitglied in ihre WhatsApp Gruppe "Liebevolles Familienleben" werden willst oder dir einen ihrer Vorträge anhören willst, melde dich unter Kontakt@GedankenLichtung.de oder 0151/12524009 (gerne per WhatsApp).